Eine Gemeinschaftsausstellung von Ines Diederich und Michael Kruscha
Paso doble,
Katalog, 2011
Hrsg. Kulturforum der Lausitz,
Gut Geisendorf
Paso doble– zwei Künstler begegnen sich, treten miteinander in Beziehung, bewegen sich aufeinander zu, führen einen Dialog:Ines Diederich ist Bildhauerin, die neben ihren Plastiken, Skulpturen und Objekten auch Reliefbilder gestaltet, sich somit vom Dreidimensionalen zur Bildfläche bewegt- Michael Kruscha ist Maler und Grafiker, dessen Bildnerische Reduktion die Figur losgelöst von einer Raumszene verabsolutiert und so eine Nähe zum vollplastischen Körper erzeugt.
Der Gemeinschaftsausstellung liegt eine doppelte Verbindung zugrunde, denn das Konzept basiert auf gegenseitigen formalen Annäherungen sowie auf verwandten thematischen Anregungen. Beide Künstler lie?en sich von archaischen Ursprüngen inspirieren, von mythischen Vorstellungen und kulturellen Traditionen. Gestaltet Kruscha in seinen Bildern sinnliche Erlebnisse, visualisiert Diederich mythische Vorstellungen in symbolischer Form. Motive und Gestalten variieren, umkriesen zentrale Ideen, bespielen teils dualistisch die Felder.
In Toros ist das dualistische Prinzip immanent, zeigt sich im Motiv des Kampfes, in den Antagonisten Tier und Mensch. Der Bildserie geht eine Reise nach Spanien voraus, wo Michael Kruscha den Stierkampf selbst beobachten und skizzieren konnte. Fasziniert von der Vitalität und Dynamik, überträgt der Künstler die Momente spannungsvoller Begenung mit den Mitteln der Malerei. Auf den ersten Arbeiten verschiedenfarbigen Grunds werden nach den Skizzen Bewegungsimpulse in schnellen Linienschwüngen und kraftvollen
Gesten auf die Fläche gesetzt, die schmale Figur des Toreros und den massigen Körper des Tieres andeutend. Die weiteren Bilder entwickeln aus dem grafisch- linearen Ursprung malerische Komplexität und Eigenständigkeit. In Pamplona polarisiert der Hell-Dunkel-Kontrast Stiere und Flüchtende, während der ‹bergang von Schwarz, Grau und Wei? die Szene vermittelt. Unscharfe Konturen steigern den Geschwindigkeitseindruck um den Wendepunkt von Ansturm und Flucht in der Bildmitte. Sind hier Mensch und Tier optisch getrennt, werden sie in anderen Bildern im abstrakten Motiv vereinheitlicht, das im breiten Farbauftrag oder in farblicher Differenzierung, als Positiv- oder Negativform erscheint.
Der visuellen Verschmelzung von Mensch und Tier entspricht in den Reliefs von Ines Diederich die religiöse Vorstellung einer Seelenwanderung oder -verwandtschaft ñ eine Vorstellung, die sich in mehreren archaischen Kulturen finden lässt. Fulgien und Naguale verweisen im Grunde auf das Gleiche, werden hier durch den Stierschädel symbolisiert, der an die Vergänglichkeit des Körpers mahnt und zugleich die Möglichkeit einer überdauernden Seele andeutet. Der physischen Präsenz Kruschas lebendiger Stiere setzt die Bildhauerin ideale Erscheinungen unsterblicher Tierseelen entgegen.
Das Tier erfährt eine Vergeistigung, indem Diederich auf die Darstellung des Körpers verzichtet und einzig den Kopf in formaler Abstrahierung darstellt: der Stier wird auf sein wesentliches Merkmal Kopf mit Hörnern reduziert, ist teils noch abbildhaft differenziert, teils in einer Urform symbolisiert. Die Tönung des Reliefgrunds in einer Farbe hebt das Plastische des Gehörnten deutlich hervor und lässt das gemeinsame Material (Terracotta) zugunsten der Bildwirkung zurücktreten. War in Kruschas Malerei eine Abstraktion des Sinnlichen erzielt worden, versinnbildlicht Diederich das Symbolisch-Abstrakte.
Die Darstellung der weiblichen Figur zeigt deutlich diesen Gegensatz: Kruscha lie? sich zu seiner Serie Alegria von einer Flamencotänzerin anregen. Bewegungsstudien fixieren die verschiedenen Ausdrucksformen abrupter und schwingender Bewegungen, die Wechsel zwischen Spannung und Entspannung, Konzentration und Lösung. Mit Episkop überträgt er die Konturen, setzt jeweils zwei Figuren übereinander auf den malerisch gestalteten Grund, oder lässt die gestaltete Kontur unter der monochromen Fläche stehen. Eine neue Spannung entsteht zwischen Linie und Fläche, Zeichnung und Malerei, Ausdrucksmoment und Tanz. Anders bei Diederich: Hier wird der weibliche Körper Teil der mentalen Sphäre. Die Bildhauerin konzentriert sich bei ihren Akten ganz auf den Körper, auf das vollplastische Volumen, auf die organische Form. Ob aus Holz oder Terrakotta, ob als Ganzes oder als Torso ñ stets ist die Figur eine einheitliche, geschlossene Form. Oft fehlt der Kopf, ebenso die Gliedma?en, oder sie umschlie?en ñ wie bei Dämmerung ñ eng den eigenen Körper, verstärken das In-sich-Ruhende der Gestalt. Die Künstlerin zeigt das Weibliche weniger in realer Au?enansicht als das sich im Körperausdruck offenbarende Innenleben.
Hierbei besinnt sich Diederich auf Mythologien, in denen Frauenfiguren bestimmte seelische Zustände erleben. Glauke steht mit Medea in Beziehung, deren Schicksal mit dem Goldenem Flies verknüpft ist. Auch diese Serie vergegenwärtigt etwas Inneres: materielle Begierde, Gier. Schafswolle und Blattgold verleihen dem Goldene Flies, als Symbol jener menschlichen Eigenschaften, physische Präsenz. Wie in den houses of the holy kreiert die Bildnerin Objekte, die etwas Nicht-Sichtbares, eine Empfindung oder Vorstellung, sichtbar machen ñ wir vollziehen vom Sinnlich-Gestalteten aus den Schritt zum Seelisch-Geistigen.
Damit gehen die Künstler verschiedene Wege der Abstraktion: Michael Kruscha fängt visuelle Erlebnisse mit bildnerischen Mitteln ein ñ Ines Diederich übersetzt abstrakte Ideen in ästhetische Form. Ob äu?ere Bewegung oder innere Regung, vita activa oder contemplativa, beiden ist das Sinnlich-Körperliche Ausdruck des Gefühls sowie des Geistigen.
©Dr.Marina Linares, Kunsthistorikerin (Köln, April 2010).