Michael Kruscha – Über Nazca und andere Gedankenflüge
Michael Kruscha-
Über Nazca und andere Gedankenflüge,
Katalog, 2003
Der Reisende
Wer reist, nimmt Pläne mit. Vorsätze natürlich, und eng aneinander gefaltete Papiere, auf denen das Farb- und Formgeflimmer da drau?en bequem gehand habt wird. Stadt, Land, Fluss, alles hübsch sortiert und aufgemalt. Karten sind wie Fahrscheine, und der Reisende sollte sie wegwerfen nach Gebrauch. Sie liegen nur, weichgeknickt, befleckt und mit Kringeln bedeckt, im Regal und werden nicht mehr angeschaut. Schon nach den ersten Tagen nimmt man sie kaum noch hervor, weil die Wegmarken vor dem Blick des Reisenden ohnehin verschwimmen und sich eine andere, unsichtbare Karte auf die Landschaft legt. Mind Maps. Schon bald merkt man, dass man die Reise nicht macht, sondern von der Reise gemacht wird. Die Orte haben sich mit Erinnerungen verbunden, sind belebt von Schatten und Geistern, die sich immer wieder, gleiche Stelle, gleiche Welle, einstellen am selben Ort. Düfte, ƒngste, Blicke, Sehnsüchte. Manchmal reisen sie auch mit, und man trifft in der Megalopolis auf die Einsamkeit der Wälder, vor der eiseskalten Subway-Station glaubt man sich am Tor der Hölle.
Michael Kruscha, der Maler, hat sein Leben so eingerichtet, dass er einen Teil des Jahres auf Reisen ist. Arusha, Manhattan, Mali und Sansibar, die Pampa von Nasca in Peru. Er fährt mit Karten los, kehrt mit Bildern zurück. Die Pläne hat er unterwegs liegen gelassen und gegen Leinwände eingetauscht, auf denen zu sehen ist, was seinen Blick gefangen hat. Schicht für Schicht ist aufgetragen, was er beim Besteigen eines Berges, beim Durchstreifen einer Landschaft, Schicht für Schicht, für sich mitgenommen hat. Die Landkarten mögen erzählen, dass der Dschungel an den Hängen des Kilimandscharo nichts zu tun hat mit der Welt aus Glas und Stahl der Metropolen. Die Bilder beweisen, dass es anders ist. Wir sehen, es ist das gleiche Rot und Orange in den Türmen New Yorks und im Gefieder der schwatzenden Papageien. Es sind die gleichen über uns einstürzenden Schrägen, Untiefen und Linien in Berlin wie in Malawi. Täuschen wir uns nicht. There are humming birds deep down in subway station. Das Gewirr des U-Bahnnetzes ist verschlungener, verschlingender als die Lianen des Waldes.
Ist das Bagdad, was da brennt? Oder sind es die Morgennebel über Turners Themse? Stadt, Land- alles im Fluss.
Alexander Smoltczyk, Journalist