anderswo – Städtische Sammlungen Kamenz, Museum der Westlausitz, 2015

anderswo,

Michael Kruscha – Arbeiten 2003 -2009

Hrsg. Städtische Sammlungen Kamenz,

2016, Band 6

ISBN -Nr.978-3-910046

 

Der Blick des Reisenden

Künstler reisen. Leonardo reiste nach Paris, Tizian an den deutschen Kaiserhof, Dürer über die Alpen nach Venedig, und das nahe Dresden zog, wie bekannt, durch das aktive Mäzenatentum von Friedrich August II. (König August III. von Polen) sowie des Grafen Heinrich von Brühl den Maler Bernardo Bellotto, gen. Canaletto, nach Sachsen. Seine 14 großen Stadtansichten, die bis heute ein Idealbild Dresdens formen und bestimmen, sind dabei exemplarischer Ausdruck für den Umgang des Künstlers mit der Fremde. Bellotto nämlich schuf keine dokumentarischen Ab-Bilder Dresdens, er sah und malte die Stadt durch die Brille eines südlichen Vedutenmalers und setzte sich immer dann über die Realität hinweg, wenn die ausgewogene Komposition es verlangte.

Jeder reisende Künstler – das zeigt sich an Bellotto – bringt im wahrsten Sinne des Wortes seine eigene Sicht der Dinge, seine eigene Welt mit, konstruiert und interpretiert Gegebenheiten entsprechend seinem Stil, seiner Technik, seiner Haltung ganz individuell. Die künstlerische Darstellung der Fremde bleibt daher immer eine Annäherung – und genau darin liegt auch der Reiz, sowohl für reisende Künstler als auch für die Betrachter ihrer Bilder. Denn wie fad wäre es, wenn etwa die Ägyptenbilder von Max Slevogt und Paul Klee – beide bereisten vor knapp einhundert Jahren das Land der Pharaonen – identisch wären? Stattdessen sehen und genießen wir diametral entgegengesetzte Welt-Bilder: Bei Slevogt leuchtende Farbräume, bei Klee leuchtende Farbflächen.

Michael Kruscha, der heute in Berlin lebt und 1961 im nahen Hoyerswerda geboren wurde, steht mit seiner Arbeit und mit seinem Leben in der hier angerissenen Tradition eines reisenden Künstlers; und so vermag bereits der Titel der Sonderausstellung „anderswo“ auf das zu verweisen, was bei ihm und in seinen Arbeiten so oft im Mittelpunkt steht: Das Ferne, das Exotische, das Fremde. Dass er dabei jedoch niemals ins Abbildhafte verfällt und stets den dokumentarischen Blick zugunsten einer vielschichtigen, oft gebrochenen Annäherung an die Motive aufhebt, zeugt von seiner konzeptuellen Herangehensweise, die zugleich die Qualität seiner Arbeiten unterstreicht. Seine Bilder illustrieren nicht, wie es in der Fremde ist, sondern dass alles Fremde schlussendlich konstruiert ist durch das Auge des jeweiligen Betrachters. Sie rufen damit ganz aktuell und in der Gegenwart verankert zu einer Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung des scheinbar Fremden auf.

Kruscha ist viel auf Reisen. Seine Bilder zeugen davon. Sie dienen ihm als Medien der Auseinandersetzung und Reflektion über das Gesehene und Erlebte. Kruscha bereiste Arusha, Manhattan, Mali und Sansibar, Nasca in Peru, Spanien, die Indianersiedlungen in New-Mexiko. Die Ausstellung „anderswo“ präsentiert Arbeiten der Jahre 2003–2009. Die Themen „Stierkampf“, „Flamenco“, „Pueblos“ und „Die arabische Welt“ stehen im Mittelpunkt.

Dass Kruschas Bilder, wie auch Katharina Winkler es ausdrückte, „ weit über die bloße künstlerische Beschreibung eines Landes hinausgehen“ (Zitat aus einer Besprechung der Serie „Arabia Felix“) führt besonders prägnant eben diese Serie vor Augen, die man übersetzt mit „Glückliches Arabien“ überschreiben könnte. In Kamenz sind drei Bilder der Serie zusehen, darunter die Arbeit „Beduinen beim Picknick“ von 2004. Auf den ersten Blick präsentiert sich das Bild als bunter Farben- und Formenrausch, der mit fein gezeichneten figürlichen Motiven – etwa einem Kamel oben links – auf ein Wüstenland verweist. Ein genaues Hinsehen verrät dann aber das Prinzip der Überlagerung, der Schichtung, das bei Kruscha immer wieder anzutreffen ist.

Eine dünne Lasurmalerei aus breiten waagerechten Strichen bildet hier eine klare geometrische Struktur, die als Unter- und Hintergrund dient. Die warmen Farben Gelb, Ocker, Rotbraun und Azurblau verweisen auf die Töne der Wüste und des nahen Meeres – der Jemen ist von zwei Seiten vom Wasser umgeben. Dieser topografischen Ordnung fügte Kruscha dann gestische Farbflächen hinzu, die das lineare Prinzip aufbrechen. Man fühlt sich an Palmwedel, Pflanzen, an Wadis und Oasen erinnert. Trockenheit ist hier gegen Fruchtbarkeit, tektonische Ruhe dialogisch gegen Bewegung gesetzt. Skizzenhaft ergänzte der Künstler dieses Landschaftsbild durch Figuren, durch mal tierische, mal menschliche Formen. Die einzelnen Elemente, die auf Studien vor Ort beruhen, fügen sich zu einem Stimmungsraum, der aber doch kein ungebrochenes, kein präzises Bild des Jemen vermittelt, vermitteln will.

Das Prinzip der Schichtungen lässt sich zugleich als metaphorischer Ausdruck für die Schrittweise Erschließung einer fremden Welt deuten, als Zeugnis für die vielschichtige Annährung des Reisenden an den bereisten Ort. Dass dabei nicht nur der Raum sondern auch die Zeit eine Rolle spielt, wird gerade dort deutlich, wo Kruscha etwa bei dem Bild „Madina rot“ von 2006 bis zu 40-50 Übermalungen vollzog. Die Stadt gewinnt durch diese Schichtungen an Raum, leuchtet mit einer Kraft, die an die Ägyptenbilder von Paul Klee erinnert. Zugleich ist gerade dieses Bild Ausdruck für das hohe Interesse des Künstlers an der Formen- und Farbwelt südlicher Länder, ihrer oft kubischen, klaren Architektur, ihren kargen Böden, ihrer hohen Sonne, dem warmen Licht.

Besonders eindrücklich reflektierte sich daher auch Kruschas Besuch der Pueblos in New Mexiko in seinen Arbeiten. Die Ausstellung „anderswo“ zeigt 3 Bilder der Serie „Pueblo“ von 2009-2011. Vor der grauen Wand hängt auf der rechten Seite die Arbeit „Black Mesa“. Wie bereits in „Madina rot“ ist auch dort die Architektur auf geometrische Formen vereinfacht. Die Häuser der Indianer sind auf Grundformen reduziert, lassen aber immer noch das Prinzip einer Pueblo-Siedlung erahnen – man denkt zugleich an die Stadtwelten von Lionel Feininger oder Herman Glöckner. Dort wie hier spielt der Schatten eine zentrale Rolle, denn er schafft in aller Abstraktion Raum. So vor allem in Kruschas großem Bild „Long Shadow“ von 2009. Dort eröffnet der harte Schattenwurf dem Betrachter gleichsam einen Schritt ins Bild, lässt die Grenzen zwischen Bild- und Betrachterraum verschwimmen.

Das Prinzip der Vereinfachung, der Lösung vom Gegenständlichen, tritt man dann bei Kruscha auch dort, wo Drama und Bewegung im Mittelpunkt stehen. Neben der Serie „Alegria“, die den Flamenco zum Thema hat – und (ganz untypisch für dieses Thema) den Frauenkörper radikal reduziert und das körperlich-erotische Element zugunsten einer abstrahierten Bewegungsdarstellung fast ganz ausklammert, sei besonders die Serie „Toros“ genannt, die sich in dieser Ausstellung wie in einem Daumenkino oder einer Bildergeschichte, Stoß an Stoß gehängt, abwickelt. Auch diese Bilder, die Picasso mitdenken, beruhen auf kleinen, schnell hingeworfenen Skizzen, die zum Teil mit einem Projektor vergrößert wurden, zum Teil unmittelbar auf den vorgrundierten Leinwänden entstanden. Das Erlebnis des spanischen Stierkampfes, die Flüchtigkeit des Augenblicks in der Arena, auch die Verdichtung von menschlicher Aktion und tierischer Bewegung, wurde hier von Kruscha mit großer gestischer Kraft in das Medium der Malerei übertragen – ein Grundgedanke, der in dem von Bewegung, Bedrohung und Gefahr geradezu vibrierenden, überaus starken Bild „Pamplona“ von 2008 seine finale Steigerung findet.

Dr. Sören Fischer, Kunsthistoriker (Dresden)

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